Sonntag, 20. Januar 2013

Verkehr auf die Schiene!

Zwei Themen beherrschten das Leserforum der Braunschweiger Zeitung am Dienstagabend in Wolfsburg: Neben der Weddeler Schleife sorgte vor allem der Ausbau der A 39 für hitzige Diskussionen.

Die im Landtag vertretenen Parteien sind sich einig in der Forderung, dass die Gleisverbindung zwischen Wolfsburg und Braunschweig, die Weddeler Schleife, dringend ausgebaut werden muss. Sie wollen sich dafür nach der Landtagswahl in Berlin stark machen. Der Weiterbau der A 39 nördlich von Wolfsburg löste beim Leserforum unserer Zeitung in Wolfsburg jedoch eine hitzige Debatte aus. Die Verkehrsexperten von CDU, SPD und FDP wollen den circa 1,3 Milliarden Euro teuren Lückenschluss nach Lüneburg – Linke und Grüne sowie die Vertreter von Bürgerinitiativen wetterten dagegen.
Die Weddeler Schleife und die A 39 waren die zentralen Themen bei der von unserem Redakteur Thomas Parr moderierten Veranstaltung im Wolfsburger Alvar-Aalto-Kulturhaus. Die Diskussionspunkte wurden durch Fragen und Meinungsäußerungen unserer Leser bestimmt. Als weitere Themen lagen den Besuchern gestern die Staubekämpfung im Wolfsburger Raum und die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in der Region auf dem Herzen.

Die Weddeler Schleife

Gerhard Bachmann aus Flechtorf wies in der ersten Wortmeldung des Abends darauf hin, dass viele Menschen in den Baugebieten auf dem Land lebten und dann zur Arbeit in die Großstädte pendeln müssten. „Sie fahren nach Wolfsburg oder Braunschweig mit der Gefahr einer Staubildung – wie kann der ÖPNV reagieren?“, fragte Bachmann. Auch der Leser Jürgen Lambers wies darauf hin, dass die derzeit nur eingleisige Schienenverbindung zwischen den Städten keine Alternative zum Straßenverkehr darstelle: „Die Weddeler Schleife ist nützlich und muss irgendwann kommen. Warum ist sie noch nicht da?“

"Diese Züge gleichen Viehtransporten.“

Die fünf auf dem Podium vertretenen Verkehrspolitiker bekannten sich daraufhin alle zu der Forderung, ein zweites Gleis zwischen den beiden Städten zu verlegen. Mit nur einem Gleis könne den Passagieren nur eine unattraktive Taktung geboten werden, sagte der SPD-Kandidat Klaus Schneck: „Die, die die Strecke Wolfsburg-Braunschweig regelmäßig mit dem Zug fahren, haben die Nase gestrichen voll. Diese Züge gleichen Viehtransporten, das hat indische Dimensionen.“ Die Folge sei, dass viele VW-Pendler und andere Fahrgäste den Zug nicht mehr als Verkehrsmittel in Betracht zögen. Auch die CDU-Kandidatin Angelika Jahns forderte eine Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene. Allerdings müsse parallel auch das Straßennetz ausgebaut werden.
Der Grüne Enno Hagenah kritisierte jedoch die in Land und Bund regierende Union: „Es ist ein Fehler gewesen, die Weddeler Schleife nicht noch in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans aufzunehmen.“ Eine Landesregierung dürfe nicht untätig warten, meinte auch die Linke Spitzenkandidatin Ursula Weisser-Roelle: „Diese Region hat einen erheblichen Nachholbedarf. Ausnahmsweise waren sich hier Rote und Liberale einmal einig, denn auch FDP-Kandidat Dietmar Busold sagte: „Das ist hier der rote Faden, dass diese Region im ÖPNV benachteiligt ist.“

Kampf um die Mittel

Die auf dem Podium vertretenen Experten räumten dem Ausbau der Weddeler Schleife gute Chancen ein. „Es ist kein Neubau, sondern eine Fertigstellung – die Trasse für das zweite Gleis ist schon gebaut“, sagte Hennig Brandes, Direktor des Zweckverbandes Großraum Braunschweig (ZGB). Das Projekt habe nun sehr gute Aussichten, so Brandes: „Es gibt aktuelle Mobilitätsdaten, die beweisen, dass die Nachfrage hier stark angestiegen ist.“ Der ZGB braucht das zweite Gleis auch für seine Regiobahn 2014+ – nur dann können die Züge in enger Taktung fahren.
Hoffnung machte auch Bernd Schmidt vom niedersächsischen Verkehrsministerium: „Die Landesregierung unterstützt die Forderung dieser Region nach einem zweigleisigen Ausbau und hat sich an den Bund gewandt, damit dieser den Ausbau im neuen Bundesverkehrswegeplan in den vordringlichen Bedarf stellt.“
Björn Gryschka vom Fahrgastverband ProBahn warnte allerdings die Landespolitiker: „Der Bundesverkehrswegeplan ist seit Jahren unterfinanziert und wird es bleiben. Es gibt also einen Kampf um die Mittel.“ Nur wenn sich das Land auf wenige wichtige Projekte beschränke, hätten diese eine große Realisierungschance.

Weiterbau der A 39

„Ich finde es absolut inakzeptabel als Steuerzahler, dass die A 39 zulasten der Steuerzahler ausgebaut werden soll; somit werden nur Symptome kaschiert“, hatte Hans Westphal aus Wolfsburg geschrieben. Auch Bernd Krag aus Braunschweig meint: „Deutschland hat das dichteste Autobahn- und Straßenetz Europas. Dessen Unterhalt kostet ’zig Milliarden. Deswegen muss sorgfältig abgewogen werden, ob eine Verlängerung der A 39 wirklich erforderlich ist.“ Und Frank-Markus Warnecke aus Brome im Kreis Gifhorn fragte gestern Abend: „Wissen Sie, was die A 39 für einen Flächenbedarf hat, wie viele Räume da zerschnitten werden?“

"Schaumblasen von Lokalpolitikern"

Sowohl das Publikum als auch das Podium war in der Frage des Weiterbaus der A 39 von Wolfsburg bis Lüneburg gestern tief gespalten. Der mittelständische Spediteur Bernd Cichacki aus Braunschweig forderte: „Die A 39 muss unbedingt gebaut werden!“ Sie erspare den Wolfsburgern 50 bis 60 Kilometer auf der Fahrt in den Norden und fördere die regionale Wirtschaft.
Jahns (CDU), Schneck (SPD) und Busold (FDP) gaben dem Spediteur Recht. Sie mussten für diese Haltung lautstarke Kritik von Eckehard Niemann von den Bürgerinitiativen gegen die A 39 einstecken. Dieser kämpft seit zehn Jahren gegen den A 39-Lückenschluss. Niemann führte unter anderem eine von den Bundesländern finanzierte „Verkehrsuntersuchung Nord-Ost“ an, die die A 39 für verzichtbar erkläre. Mit der Kostensteigerung auf 1,3 Milliarden Euro sei nun auch kein akzeptabler Nutzen-Kosten-Faktor mehr darstellbar. Niemann behauptete sogar, dass alle vorliegenden neun Gutachten keinen positiven Effekt durch die A 39 für die Region ausmachen konnten. Und schließlich sei für die A 39 sowieso kein Geld im Bundesetat, sagte der A 39-Gegner und schloss mit dem Satz: „Das alles sind Schaumblasen, die Lokalpolitikern einfallen, weil ihnen sonst nichts einfällt.“

Behauptung, die A 39 bringe nichts, ist "grotesk"

Mit diesem Beitrag hatte Niemann Zwischenrufe aus dem Publikum und empörte Reaktionen vom Podium provoziert. FDP-Mann Busold hielt seine Behauptung, die A 39 bringe nichts, für grotesk: „Sie sind der erste, der sagt, dass eine Autobahn keine Gewerbeansiedlungen mit sich bringt.“ Nur Grüne und Linke schlugen sich auf Niemanns Seite. „Wenn die A 39 ausgebaut wird, ist das Problem nicht gelöst – mehr Straße bringt auch mehr Verkehr.
Der Verkehr muss von der Straße runter“, sagte Weisser-Rölle (Linke). Enno Hagenah (Grüne) erinnerte an den extremen Sanierungsbedarf an den bestehenden Straßen, der alle Haushaltsmittel schlucken werde: „Laut Weltbank sind wir nach dem Stadtstaat Singapour das am besten mit Infrastruktur ausgestattete Land. Wir müssen jetzt die effizientesten Ausbauformen finden, die am wenigsten Geld kosten – und Autobahnen kosten sehr viel Geld.“

Der Abend endete im Streit

Hennig Brandes vom ZGB warb schließlich dafür, die Weddeler Schleife nicht gegen die A 39 auszuspielen – beide Projekte seien wichtig für die Region. Auch Bernd Schmidt vom Verkehrsministerium wies die harsche Kritik an dem Autobahnprojekt vehement zurück: Die A 39 wird kommen und sie ist auch nötig, auch im europäischen Verkehr.“ Dass eine Autobahn positive Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung einer Region habe, beweise das Emsland.
Der Abend endete schließlich im Streit, aber auch mit deutlichen Bekenntnissen der kandidierenden Landespolitiker zur beabsichtigten Verkehrspolitik für unsere Region. Nun muss der Wähler entscheiden.
Als erster verließ Björn Gryschka vom Fahrgastverband ProBahn den Saal. „Für mich hat die bisher nur eingleisige Weddeler Schleife eine persönliche Auswirkung – ich muss leider um 19.45 Uhr gehen, weil dann der letzter Zug Richtung Braunschweig fährt“, sagte er – und verschwand. Quelle: Braunschweiger Zeitung